2013 – Die Räuber

Das Stück
Es war einmal ein Vater, der hatte drei Kinder: Maximilian von Moor sieht in seinem ältesten Sohn Karl, einem charismatischen Freidenker, die Zukunft seiner Firma und überschüttet ihn mit dem väterlichen Lob und Stolz, welches er seinem jüngeren Sohn Franz entzieht. Auch die kleine Halbschwester der beiden ungleich(behandelt)en Brüder, Amalia, von diesen kurz Ami, Freund, gerufen, schenkt all ihre Zuneigung dem älteren, dem fernen Bruder. Denn Karl hat sich, von den Ansprüchen des Vaters überfordert, zum Studium nach Leipzig abgesetzt und zieht mit seinen Kommilitonen, angeführt von dem Anarchisten Spiegelberg, durch die alternativen Kneipen der Vorstadt. Franz sucht diese Abwesenheit des Älteren derweil auszunutzen, um den Vater für sich zu gewinnen, scheitert jedoch an dessen Voreingenommenheit. Getrieben von Neid und Eifersucht gegen den Bruder und aufkeimendem Hass dem Vater gegenüber, dem er diese unverdiente Kaltherzigkeit nicht verzeihen kann, setzt Franz einen Plan in die Tat um, der ein Inferno auslöst indem all das untergeht, was der Vater seinen Kindern an Werten, Idealen, Hoffnungen und Gewissen mit auf den Lebensweg zu geben gedachte. Die Jugend erhebt sich im Feuersturm, doch was bleibt sind verklingende Rauchzeichen am Horizont.

Das Konzept
Was ist Gerechtigkeit? Keine andere Frage ist so leidenschaftlich erörtert, für kaum eine andere ist so viel Blut, sind so viele Tränen vergossen worden. Sie bildet auch das zentrale Motiv der „Räuber“-Inszenierung der Querstreicher und der Auseinandersetzung der jungen Menschen mit dem historischen Stoff.

„Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten“ sagt der ungeliebte Franz gleich zu Beginn des Dramas und appelliert damit an das Grundrecht, dass in Deutschland niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Von Gesetz wegen verboten, ist die Frage nach der Ungleichbehandlung von Menschen im täglichen Umgang jedoch häufig eine Frage der persönlichen Sympathie, der man sich trotz political correctness schwerlich entziehen kann. Spielt bei der Wahl unserer Freunde nicht auch immer die Ausstrahlung und nicht zuletzt auch die Attraktivität, das äußere Erscheinungsbild eine Rolle?

Es ist die subjektive, manchmal unterbewusste Ungerechtigkeit von Bevorzugung und Vernachlässigung die den wesentlichen Handlungsmotor der „Räuber“ ausmacht: a. Familiär in der Zuneigung Maximilians und Amalias zu Karl bzw. in der Abneigung gegenüber Franz, der erst auf Grund dieser Ungleichbehandlung seine boshaften Charakterzüge ausbildet; b. im Freundeskreis bei der Wahl des „Räuberhauptmanns“, wo Spiegelberg, als wirklicher politischer Denker und radikaler Weltverbesserer aus Überzeugung, gegenüber dem Idealisten und Charismatiker Karl den Kürzeren ziehen lässt, der zwar den Traum vom Freien Menschen träumt, aber eigentlich nur aus verletztem Stolz zum politischen Aktivisten wird; c. auch gesellschaftlich, denn was die jungen Menschen auf die Barrikaden treibt ist nicht nur jugendlicher Leichtsinn, Übermut und Spaß am Verbotenen, sondern vielmehr das Gefühl der Ungerechtigkeit der Welt in der sie leben und in die sie sich nicht kampflos integrieren lassen wollen. Wie schrieb schon Friedrich Schiller am Schluss seines „Parasiten“? „Der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“

Die Entstehungsgeschichte
„Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! […]  Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung heranbricht!“ – So enthusiastisch gibt ein Zeitzeuge die Reaktionen auf die fünfstündige Uraufführung von Friedrich Schillers „Räubern“ am 13. Januar 1782 im Nationaltheater Mannheim wieder. Sie machte den jungen Militärarzt zum letzten Repräsentanten der ersten deutschen Jugendbewegung, dem „Sturm und Drang“ und über Nacht berühmt. Die radikale Ehrlichkeit und Unverstelltheit seiner Schreibweise, die Kraft in der Zeichnung der innerlich zerrissenen Charaktere lassen den ewig jungen Dichter und sein Erstlingswerk – Zeugnis seines Aufbegehrens gegen den militärischen Drill und Zwang seiner Kadettenzeit auf der Stuttgarter Karlsschule – auch für Jugendliche von heute nach wie vor interessant erscheinen. Das Stück thematisiert, vom Generationskonflikt über die Suche nach dem richtigen Platz im Leben und die zum Teil radikalen Weltveränderungspläne der Protagonisten bis hin zu den Problemen der jungen Menschen mit den katastrophalen Studienbedingungen, die ihnen jeden Freiraum zur Selbstverwirklichung rauben, Fragen, die auch 230 Jahre nach der Uraufführung an Aktualität nichts eingebüßt haben.

Die Umsetzung des Stückes durch die Jugendtheatergruppe des Werk9, Querstreicher, gibt den zeitlosen Stoff um zwei Drittel auf 90 Spielminuten verkürzt, aber sonst unverändert wieder. Auch die vielen Lieder, die sich durch Schillers Erstling ziehen, sind Musik geblieben, wurden jedoch, den etwas veralteten Herzschmerz der Barockoper, die Schiller als Anleihe nahm, beiseite lassend, durch die ungekünstelten Straßenmusiksongs von Alex ersetzt, welche die alten Räuber der Böhmischen Wälder durchaus authentisch zu urbanen Piraten werden lassen.